Duz-Kultur – die neue Grenzverletzung?


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Die zügig voranschreitende Digitalisierung hat auch Auswirkungen auf die Unternehmenskultur und damit auf den Kulturwandel 4.0. Dies hat zur Folge, dass sich Chefs plötzlich volksnahe geben und die Duz-Kultur allmählich nicht nur in hippen Start-ups, sondern auch in traditionellen Firmen, Organisationen und Institutionen Einzug hält. Die Duz-Kultur selbst nahm ihren Anfang mit einem schwedischen Möbelhaus, das sich in Werbespots als gute Freundin präsentiert. Deutlich häufiger treffen wir – Du und ich, liebe Leserin, lieber Leser – im täglichen Leben das Du an – auch an eher ungewohnten Orten. So werden beispielsweise bei der Gemeinde Emmen Stelleninserate mit Duzis formuliert. Auch beim Bewerbungsgespräch und ganz generell in der Verwaltung herrscht immer öfters über alle Hierarchiestufen untereinander das Du. Auch in anderen Gemeinden wird offiziell die Duz-Kultur gelebt. Dies ist keine Eigenheit der öffentlichen Verwaltung: Auch in der Privatwirtschaft ist das Du auf dem Vormarsch. Diverse grosse öffentliche und private Unternehmen haben sich intern das Du auf die Fahne geschrieben. Je nach Branche und Lokalität ist das Duzen in Unternehmen bereits länger Standard. So wird etwa in einem Start-up inmitten eines urbanen Zentrums untereinander kaum ein Sie zu hören sein. Insbesondere, nicht nur im Technologie-Sektor, herrscht je nach Nähe zu internationalen Märkten und dem Englischem als am Weitesten verbreiteten Handelssprache das Du vor. Es ist eine Tatsache: Wir rücken durch Social Media näher zueinander; die Welt wird zu einem Dorf. Das Du ist Teil der digitalen Welt.

    Doch sich in der Welt des allgemeingültigen Dus zurechtzufinden, ist für mich nicht immer einfach und manchmal sogar befremdend. Diese zunehmende Veränderung der öffentlichen Gepflogenheiten führt zu Unklarheiten und Fragen. Traditionell erzogen, störte mich die Du-Kultur je nach Situation. So mag ich es nicht, wenn die Frau am SBB- oder am Bank-Schalter, die Verkäuferin, meine Ärztin oder Therapeutin sowie wildfremde Personen mich im Alltag einfach mit Du anreden. Einverstanden: Durch das Duzen fallen Barrieren weg, was zu einer produktiveren Zusammenarbeit führen kann. Es ist eine schöne Möglichkeit zu zeigen: Ich wünsche mir mehr Nähe zwischen uns. Lass uns Du sagen! Es handelt sich um einen aktiven, freiwilligen Schritt. Um ein Geschenk, das gemacht und entzogen werden kann. Sie und Du stehen für Höhen und Tiefen, die eine berufliche Zusammenarbeit oder eine persönliche Beziehung durchlaufen kann. Ausserdem bedeutet das Du nicht zwangsläufig, dass auf einmal ein Umgangston herrscht wie auf der Baustelle. Dies alles spricht für das Duzen.

    Doch je nach Situation und Zusammenhang kann das Du gerade durch das Abbauen der Barriere, Grenzen verletzen. Gerade als Kundin beispielsweise möchte ich zuvorkommend mit gewisser Distanz bedient und beraten werden. Wo Rollen klar festgelegt sind, verkommt Nähe zu Schleimerei. Ich bin Kundin im Möbelhaus und für das Du bekomme ich nichts geschenkt. Und bei den Behörden werden ich nicht zuvorkommender behandelt, nur weil ich «die Corinne» bin. Wer bei der Duz-Kultur mitmachen will, braucht Fingerspitzengefühl. Doch das haben viele eben nicht begriffen – dass man trotzdem auf Augenhöhe verhandelt und Distanz und Respekt wahrt. Wir sind im posthierarchischen Zeitalter angelangt, wo nicht mehr Status jemandem Macht und Ansehen gibt, wo Hierarchien flacher sind und natürliche Autoritäten durch Inhalt und Argumente im Fokus stehen. Trotzdem nicht übergriffig zu werden, hat sich leider in unserer Gesellschaft (noch) nicht etabliert. Das ist das grosse Problem. Deshalb ist manchmal trotz den vielen Vorteilen des Duzens ein Sie angebracht!

    Noch immer mag ich es nicht, ungefragt geduzt zu werden. Zum «Du» zu wechseln bleibt das gute Recht jedes Einzelnen. Wer es verletzt, muss eine triftige Antwort haben auf die Frage: « Warum duzen Sie mich?» Und dann gibt es noch diejenigen Mitmenschen, da halte ich lieber Distanz und bleibe beim alt vertrauten Sie, weil es einfach für beide besser ist.

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

    Vorheriger ArtikelGemeinsam für die Marke Schweiz
    Nächster Artikel«Die grösste Kiste, die wir in unserer Karriere gestemmt haben»